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BDZV-Präsident Döpfner im Interview: Zeitungskrise rührt nicht vom technologischen Wandel

Mathias Döpfner. Foto: dpa

Er ist einer der profiliertesten Medienmanager in Deutschland: Als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger verschont Springer-Chef Mathias Döpfner die eigene Branche nicht vor Kritik.

Mit der «Affäre Relotius» hat nach Ansicht von Mathias Döpfner nicht nur der «Spiegel» ein Problem – der Fall gehe die ganze Medienbranche an. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hat jetzt in einem in zahlreichen Medien verbreiteten Interview mit der Deutschen Presse-Agentur eine schonungslose Aufarbeitung des Skandals gefordert und vor falscher Branchensolidarität gewarnt. Sonst, so der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer («Bild», «Die Welt»), drohe das Grundvertrauen in die Medien weiter zu erodieren. Auch zu zahlreichen weiteren aktuellen  Themen der Branche nahm Döpfner pointiert Stellung. “MT Intern” dokumentiert das Interview, dessen Fragen von DPA-Chefredakteur Sven Gösmann und Hauptstadtkorrespondent Esteban Engel gestellt wurden.

Harald Schmidt hat in einem «F.A.Z.»-Interview unlängst gesagt, dass die Affäre um die Fälschungen von Claas Relotius im «Spiegel» die deutsche Bevölkerung «null» interessiere. Sehen Sie das auch so?

Harald Schmidt ist Satiriker. Das kann er nur ironisch gemeint haben. Der Versuch, das zum Fälscherfall Relotius runterzuspielen, scheitert. Das Problem dieser «Spiegel»-Affäre liegt tiefer. Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung. Relotius hatte ja Vorboten. Wir erinnern uns an den Reporter, der Seehofers Modelleisenbahn anschaulich beschrieb, ohne in dem Keller gewesen zu sein, in dem Seehofer sie aufgebaut haben soll. Relotius verstand immer besser, welchen Sound man liefern musste, um Ressortleiter und Jurys von Journalisten-Preisen zu bedienen. Erfindung war da am Ende effizienter als Recherche. Und das interessiert die Bürger im höchsten Maße. Weil es Grundvertrauen erschüttert. Und zum Teil berechtigte Kritik an unserer Branche bestätigt. Aber: Wenn das jetzt ordentlich aufgeklärt wird, Konsequenzen jenseits der Bauernopfer gezogen werden und die Menschen nicht das Gefühl haben, dass es hier falsche Branchensolidarität gibt, dann birgt das Ganze auch eine große Chance zur Katharsis. Der Fall geht die gesamte Medienbranche an, nicht nur eine Zeitschrift.

Wie finden Sie den bisherigen Stil der Aufklärung?

Erstaunlich zurückhaltend. Offenbar wirkte das Argument, dass Relotius ja auch in anderen Publikationen von «Zeit Online» und «Welt» bis zum Magazin der «Süddeutschen Zeitung» veröffentlicht hat, wie eine Beißhemmung. Als wenn das die Sache weniger schlimm macht. Der Skandal wurde im Wesentlichen auf den Medienseiten und in den Feuilletons abgehandelt. Erstaunlich, wenn man das mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern des «stern» in den 80er Jahren vergleicht. Dieser Fall ist ja wesentlich schlimmer als die Hitler-Tagebücher. Der Name war zwar damals spektakulärer, aber der Vorgang beim «Spiegel» ist natürlich ein viel tiefergehender. Hier ist ein Klima geschaffen worden, in dem Relotius über einen langen Zeitraum mehr als fünfzig Texte im Heft und auf «Spiegel»-Online, darunter zum Teil fast komplett erfundene Geschichten, veröffentlichen konnte. Kontrollmechanismen haben wiederholt versagt. Inklusive der legendären «Dokumentation», mit der «Spiegel» immer wieder geworben hat. Die gefälschten Tagebücher haben damals wochenlang die Nachrichten bestimmt. Bei den gefälschten Artikeln gab‘s nach ein paar Tagen noch kleine Meldungen. Es wäre gut für die Branche, etwas mehr Unabhängigkeit und Selbstkritik zu beweisen.

Ist das eine Zäsur für die deutschen Medien?

Das Problem, dass einstweilen aus dem «Sturmgeschütz der Demokratie» ein «Luftgewehr der Fantasie» geworden ist, das muss der «Spiegel» lösen. Die Chance besteht, weil er das große Glück hat, dass seit Januar ein Chefredakteur amtiert, der mit dieser Sache nichts zu tun hat, also völlig unbelastet agieren kann. Wenn er das konsequent macht, kann auch der «Spiegel» sich davon erholen. Wenn nicht, und vor allem wenn die Medienbranche insgesamt zu schnell wegguckt und hier mit zweierlei Maß misst, dann kann das tatsächlich zu einer Zäsur werden. Denn es würde unser höchstes Gut, die Glaubwürdigkeit untergraben. Wie will man denn in Zukunft mit anderen Enthüllungen umgehen – von der Neuen Heimat bis zu «Dieselgate» – wo doch mit harten moralischen Maßstäben gemessen und schnell nach personellen Konsequenzen gerufen wird. Wer soll das denn noch ernst nehmen? Es steht hier also sehr viel auf dem Spiel.

Sind nationale Leitmedien für solche Fehler besonders anfällig? Wäre das in den Redaktionen einer Lokalzeitung oder Regionalzeitung vielleicht nicht passiert?

Vorneweg: Niemand sollte sagen «bei uns hätte das nie passieren können.» Wer das glaubt, ist schon an sich gefährdet. Demut ist bei uns allen geboten. Aber es mag schon sein, dass die Bodenständigkeit einer Lokalzeitung für solche Auswüchse der Hybris weniger anfällig ist. Und ganz praktisch: vielleicht wäre in einer Lokalzeitung ein Ressortleiter näher am Reporter dran gewesen, hätte zum Beispiel seine Reise- oder Spesenabrechnungen im Detail angesehen und gemerkt, dass der Reporter gar nicht in dem Café Kaffee getrunken hat, das er in seiner Geschichte beschreibt.

Mathias Döpfner. Foto: dpa

Wie stehen Sie zu Aktionen wie den Twitter-Hashtag #Nazisraus? Nach dem Angriff auf den AfD-Abgeordneten in Bremen war eine ZDF-Reporterin, die den Hashtag getwittert hatte, heftig angefeindet worden. Unter Journalisten löste der Fall eine Welle der Solidarität für die Kollegin aus …

Wörtlich genommen ist der Gedanke des Satzes «Nazis raus» natürlich richtig. Aber das, was jetzt viele im Netz damit meinen, und die Haltung, die dem zugrunde liegt, finde ich höchst problematisch. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist immer falsch. Wer das verharmlost oder dafür Verständnis weckt, verlässt den rechtsstaatlichen Raum. Das ist in jedem Fall vollkommen inakzeptabel und ein Zeichen für die zunehmende Unfähigkeit, durch gute Argumente eine Partei zu entzaubern, die außer Zorn und Ressentiment nicht viel zu bieten hat. Journalisten sollten dafür besonders sensibilisiert sein. Durch solche Aktionen kristallisiert sich ein zunehmend intolerantes Meinungsklima und eine intellektuelle Unfähigkeit, mit anderen Meinungen sowie unterschiedlichen Auffassungen weltoffen und zivilisiert umzugehen. Es ist traurig, wenn sich ausgerechnet Journalisten so eine Haltung zu eigen machen und mit einem solchen Spruch obendrein den Nationalsozialismus verharmlosen, damit den Holocaust minimieren und ahistorisch kontextualisieren. Im übrigen: Nazis müssen nicht raus, also woanders hin, sondern ganz verschwinden. Aber nicht jeder, der eine andere Meinung hat, ist ein Nazi.

Sind Sie in den Sozialen Medien unterwegs?

Nein, das kostet zu viel Zeit, produziert zu viel negative Energie und zu wenig Erkenntnis.

Da widersprechen Sie vielen Journalismus-Strategen, die sagen, dass man als Medienmanager drin sein müsse.

Antwort: Journalisten müssen natürlich Soziale Medien als Informationsquelle und Rechercheinstrument benutzen. Aber die eigene Präsenz von Journalisten in sozialen Medien erscheint mir zunehmend problematisch. Die Idee, dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittern oder auf Facebook posten kann, ist absurd. Kein Mensch kann das unterscheiden. Ein Chefredakteur oder Redakteur ist dort keine private Person. Deshalb wird viel zu schnell geschrieben, was am Ende der Marke abträglich ist. Am Ende dienen diese Aktivitäten allenfalls der Person, sehr selten dem von ihr vertretenen Medium. Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit. Außerdem haben Journalisten doch eine gute Plattform, um sich auszudrücken. Ihr Medium. Warum sollten sie Ihr wertvollstes Gut – ihre Erkenntnisse und Gedanken, ihre Inhalte – verschenken, um Twitter zu Exklusivnachrichten oder Kurzkommentaren zu verhelfen?

Die Leidenschaftlichkeit verführt manchmal zu diesem schnellen Schreiben …

Verkürzung, Emotionalisierung kann dann, hektisch zwischendurch geschrieben und gesendet, komplexe Sachverhalte verzerren.

Da müssen wir Sie dann als Springer-Chef fragen: Gerade die «Bild»-Zeitung hat die Verkürzung zu ihrem Markenzeichen erhoben. «Wir sind Papst» oder «Der Mond ist jetzt ein Ami» …

Solche Überschriften sind eine Kunstform. Daran wird oft Stunden hart gearbeitet. Wer etwas zu sagen hat, braucht keine langen Sätze. Das ist das Stilmittel des von mir so bewunderten Boulevard-Journalismus. Ich finde es geschickter, wenn Journalisten ihre Kreativität für die kürzeste, originellste und treffendste Schlagzeile für ihre eigenen Plattformen nutzen und nicht mit ihren Tweets als Gratis-Dienstleister die Reichweite der Sozialen Medien steigern.

Die Medienbranche befindet sich in einer tiefgreifenden Transformation. Gleichzeitig werden Verlagsfusionen verkündet und Zusammenlegungen von Redaktionen. Die Rede ist vom Einheitsbrei. Zwar wird immer wieder der Qualitätsjournalismus beschworen, beim Blättern ist er manchmal schwer zu finden. Erleichtert der Rückzug des Handwerks und der digitale Wandel den Scharlatanen das Handwerk?

Der Journalismus hat dank der Digitalisierung alle Möglichkeiten, besser zu werden als er in seiner analogen Form jemals war. Ich bin fest davon überzeugt, dass das – nach ein paar Krisen – in ein paar Jahren auch so sein wird. Und mit einer Lebenslüge müssen wir aufhören: dass die viel beschworene Zeitungskrise durch technologischen Wandel verursacht ist. Das stimmt nicht, das ist ein Alibi. Der Technologiewandel und die Erschließung neuer Vertriebskanäle bieten wesentlich mehr Chancen für den Journalismus als Risiken. Diese Chancen aber müssen richtig gemanagt werden. Und vor allen Dingen müssen sie inhaltlich richtig gestaltet werden.

Mathias Döpfner. Foto: dpa

Wie meinen Sie das?

Antwort: Die Krise der Zeitungen und Zeitschriften und die Krise des Journalismus ist im Wesentlichen eine intellektuelle, eine inhaltliche Krise. Journalismus war nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer ganz anderen Relevanz und Brisanz – im Sinne der Wiederherstellung von Demokratie und dem wehrhaften «Nie Wieder»-Impuls – mit einer ganz anderen Ernsthaftigkeit grundiert. Die Hoch- und Zeitgeistphase von den 70er bis in die 90er Jahre hat dann zur Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit geführt. Ich will nicht verallgemeinern, das gilt niemals für alle. Aber leider haben sich entsprechende Geisteshaltungen in ganz verschiedenen Verlagen und Redaktionen eingenistet und dazu geführt, dass es zu einer tiefen Entfremdung zwischen Leserinnen und Lesern und den journalistischen Angeboten gekommen ist.

Kann da die Digitalisierung Abhilfe schaffen?

Die Tatsache, dass eine Marke ihre Inhalte digital anbietet, garantiert noch nicht ihren Durchbruch und Erfolg. Denn es entstehen ganz neue Marken, neue Kraftzentren, Digitalverlage, die mit einer anderen Sprache und einem anderen Selbstverständnis einer jüngeren Zielgruppe offenbar mehr zu sagen haben. Deswegen ist eine Selbstbesinnung nötig, wieder kritischer, unabhängiger, gründlicher und stärker am Leser orientiert zu arbeiten. Das heißt nicht, den Leserinnen und Lesern nach dem Mund zu reden, aber genauer zu wissen, was wen wie interessiert. Und die Dinge so authentisch zu vermitteln, dass sie auch wirklich interessieren. Ich wünsche mir mehr Neugier auf die Wirklichkeit.

Wie sieht es mit dem Management aus? Für viele sind Startups attraktiver als die Medienbranche. Gibt es Probleme, innovative Zeitungsmanager zu finden?

Klar: Die Attraktivität von Medienunternehmen insbesondere von Zeitungsunternehmen ist heute geringer als vor 30 Jahren. Damals gingen die besten Leute in die Redaktionen oder ins Medienmanagement. Heute gehen sie zu Google, Amazon, Facebook oder zu Berliner Startups. Die Anziehungskraft hat sich verschoben, der Wettbewerb um Talente ist schwieriger geworden. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass gerade die jüngere Generation der Verlagsmanager sehr kompetent und inspiriert ist und in diesem Geschäft mit kreativen Lösungen etwas bewegen will. Und kann.

Sie haben ja nicht gerade den klassischen Weg des Verlagsmanagers hinter sich …

Ich habe nie verstanden, warum es ein Nachteil sein soll, wenn man Journalist ist und nicht Jura oder Betriebswirtschaft studiert hat, um ein Medienunternehmen zu führen. Aber es muss jetzt nicht jeder Musikwissenschaftler werden. Ich halte ohnehin das Studium nicht für so ausschlaggebend. Lebenserfahrung ist viel wichtiger als akademische Lorbeeren. Wir brauchen nichtlineare Berufswege.

Haben sie Angst um Ihre Daten?

Mich stört es, wenn zum Beispiel ein Transportdienstleister mir – und damit potenziell vielen anderen – minutiös per Email mitteilen kann, um wieviel Uhr ich von wo nach wo gefahren bin, weil diese Daten von dem Unternehmen gespeichert werden. In einer freien Gesellschaft bestimmt das Individuum – solange es sich im Rahmen der Gesetze bewegt – welche Informationen es mit wem teilen will. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren eine erdrutschartige Bewegung nicht nur in Europa, sondern gerade auch in Amerika erleben werden. Wem gehören die Daten? Das ist eine Schlüsselfrage und es gibt für mich nur eine Antwort: Die Daten gehören den Bürgern. Sie dürfen keinem Konzern gehören. De jure nicht und de facto nicht. Wir werden hier eine neue Regulierung finden müssen. Wir werden ein neues Nutzerverhalten entwickeln. Die Sensibilität wird steigen. Das wird in den nächsten Jahren eine Riesenbewegung. Für Unternehmen wird es ein positives Wettbewerbs-Unterscheidungsmerkmal, wie sensibel und fair sie mit den Daten ihrer Kunden umgehen.

Nachrichtenportale wie etwa Buzzfeed oder Watson, aber auch Facebook spüren den Gegenwind. Wie nachhaltig sind denn die digitalen Geschäftsmodelle?

ADa muss man unterscheiden. Facebook ist eine andere Baustelle. Es gibt journalistische Marken wie «Politico», «Business Insider», «Axios» und viele andere. Denen geht es hervorragend. Andere wie Buzzfeed oder Huffington Post enttäuschen die Erwartungen. In der digitalen Welt haben sich vielleicht ein paar Gesetze bestätigt, die auch in der analogen Welt immer gegolten haben. Am Ende kommt es auf die Qualität des Inhalts an. Es kommt darauf an, ob man ein wirklich leserorientiertes Angebot liefern oder nur Klicks maximieren will, die Werbekunden glücklich machen.

Stichwort Leistungsschutzrecht. Wie wollen Sie die Inhalte schützen und es schaffen, dass auch die großen Internet-Player für die Nutzung der Zeitungsinhalte zahlen?

Die Zukunft des digitalen Journalismus hängt entscheidend von einer Voraussetzung ab: Dass es einen sicheren Rechtsrahmen für geistiges Gut gibt. Wenn zum Beispiel große Tech-Plattformen unsere Inhalte kommerziell nutzen, dann müssen diese sich auf eine Lizenzgebühr mit den Rechteinhabern einigen. In der analogen Welt war das für Zeitungen nicht so relevant. Keiner kopiert eine Zeitung x-mal und verkauft sie dann am Kiosk. In der digitalen Welt ist das ein Mausklick. Die Musikindustrie ist seit Jahrzehnten daran gewöhnt. Schon vor vielen Jahrzehnten konnte man einfach eine Platte nehmen und in einem Club auflegen oder in einem Radiosender spielen. Deswegen hat die Musikindustrie diesen Schutz des geistigen Eigentums und nur deshalb gibt es die Musikindustrie. Das gilt auch für Archive und die Filmindustrie. Es gilt nur nicht für Zeitungen und Zeitschriften. Weil die Zukunft der Zeitung digital ist, muss es jetzt dringend eingeführt werden.

In der kommenden Woche will die EU über das neue Urheberrecht entscheiden …

Ich bin zunehmend optimistisch, dass die Bedeutung dieser Entscheidung auch in der Breite erkannt wird und die mit wahrheitswidrig Argumenten geführte Verhinderungskampagne nicht verfängt. Im übrigen glaube ich auch, dass die großen Plattformen, namentlich Google, erkennen, dass es eine vergleichsweise leicht hinnehmbare Einschränkung ihres Geschäftsmodells wäre. Die mit Verlagsinhalten erzielten digitalen Werbeerlöse kommen fast ausschließlich bei Google und Facebook an, die vielen Tausenden Verlage auf der Welt bekommen davon fast nichts. Das kann so nicht weitergehen. Die kritische Diskussion über die Rolle der Plattformen hat so eine Dynamik bekommen, dass bei dem einen oder anderen Verantwortlichen die Erkenntnis wächst: Wir machen mal lieber dieses kleine Zugeständnis in Brüssel, anstatt viel gefährlichere regulatorische und politische Entwicklungen zu provozieren, die vielleicht am Ende zu einer Zerschlagung führen. Für Google und Facebook ist das ein sehr kleiner Preis, für die Verlage ist es eine existenzielle Voraussetzung, um digitale Geschäftsmodelle zu etablieren. Es ist die Voraussetzung für Innovation und Wettbewerb.

Mathias Döpfner. Foto: dpa

Mit wieviel Geld rechnen Sie?

Es werden am Anfang eher kleine Beträge sein. Wichtig ist vor allem, dass das Prinzip etabliert wird, für Journalismus auch im digitalen Zeitalter einen fairen Preis zu bezahlen. Und dass ein Markt entsteht, der dann irgendwann sehr groß sein kann, und in dem dann auch viel Geld verdient wird. Übrigens Geld, an dem Journalisten ausdrücklich beteiligt sein werden, zusätzlich zu ihrem Gehalt und den Vergütungen etwa durch die VG Wort.

In der analogen Welt haben Zeitungen zunehmend mit der Zustellung zu kämpfen. Sie bekommen keine Zeitungsausträger mehr …

Ein hochkomplexes Thema. Natürlich sind wir alle dafür, dass Menschen hier nicht unter dem Existenzminimum arbeiten müssen und ordentlich entlohnt werden. Das Problem ist aber, dass der staatlich erzwungene Wechsel von Stück- auf Stundenlohn viele Leute aus dem Zustellerjob drängt. Es gibt leichtere Jobs, die jetzt mit dem gleichen Lohn bezahlt werden. Anstatt morgens um drei aufzustehen, um Zeitungen zuzustellen, stehen viele lieber um sieben auf und verpacken Kartons für einen Logistiker. In Kombination mit der Portoerhöhung der Post und anderen Faktoren, führt es dazu, dass das flächendeckende Zustellernetz immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist. Es gibt demnächst immer mehr Gebiete, in denen Zeitungen nicht mehr zugestellt werden können. Dass Zeitungen aber flächendeckend geliefert werden können, ist von systemischer Bedeutung und gehört zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland.

Gibt es Lösungen?

Man muss überlegen, wie die zu leistenden Sozialabgaben für diese Tätigkeiten vielleicht stärker entlastet und vom Staat übernommen werden können. Es gibt EU-Länder, in denen Zeitungen von der Mehrwertsteuer befreit sind. Auch dies sind Möglichkeiten, um die Belastungen zumindest teilweise zu kompensieren. Wir lehnen im übrigen eine direkte Subvention von Journalismus strikt ab. Aber: Auch der rein technische Bereich, das Zustellnetz für Abonnementzeitungen, ist eine durchaus demokratierelevante Infrastruktur. Hier wäre es legitim und sachgerecht, über eine Förderung der Infrastruktur nachzudenken.

Sie haben 2018 mit den Öffentlich-Rechtlichen Frieden im Streit um die Internet-Angebote der Sender geschlossen, die die Verleger als digitale Konkurrenz zur Zeitung betrachten. Haben Sie schon mit dem ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm in der geplanten Schiedsstelle für Konfliktfälle getagt?

Der Rundfunkstaatsvertrag soll erst im Mai dieses Jahres in Kraft treten. Dann kann die Schlichtungsstelle tagen. Das soll aber ein Gremium des gesunden Menschenverstands sein. Ich habe das Gefühl: Es gibt wirklich guten Willen auf Seiten der Öffentlich-Rechtlichen. Und es gibt guten Willen auf Seiten der Verlage. Ich hoffe, dass es gar nicht erst zum Streit kommt, der geschlichtet werden muss. ARD und ZDF haben längst erkannt, dass ihre Zukunftsfragen andere sind: Wie positioniere ich mich gegen YouTube und Netflix und was habe ich für Angebote, um das Durchschnittsalter der Zuschauer von 61 Jahren dem Bevölkerungsdurchschnitt wieder anzunähern.

Was halten sie von dem Vorschlag des ARD-Vorsitzenden, mit den Öffentlich-Rechtlichen und den Zeitungen einen Videoaustausch zu etablieren?

In einigen Regionen und Städten wird das schon praktiziert. Wobei man darauf achten muss, dass der öffentlich-rechtliche Sektor und der private Sektor immer getrennt bleiben und es keine Vermischungen und Wettbewerbsverzerrungen gibt. Sonst fragt man, wer profitiert eigentlich noch von den Gebühren. Bisher ist es nur ein sehr vager Vorschlag, der als Grundidee attraktiv ist.

Es gibt auch die Idee für ein europäisches YouTube, auf das Medien und Kultureinrichtungen ihre Inhalte stellen könnten …

Auch hier ist die Grundidee – mit den eben genannten Einschränkungen – richtig. Aber sie müsste jetzt mal konkretisiert werden.

Zuletzt: Wollen Sie im Juli 2020 erneut zur Wahl zum BDZV-Präsidenten antreten?

Mir macht es Spaß. Und es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst angefangen. Aber ob es zu einer zweiten Amtszeit kommt, entscheiden die Mitglieder.

ZUR PERSON: Der studierte Musikwissenschaftler Mathias Döpfner (55) ist seit 2002 Vorstandsvorsitzender des Medienhauses Axel Springer («Bild», «Die Welt») und seit Juli 2016 Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Täglich erscheinen in Deutschland laut BDZV 351 Tageszeitungen mit 1 528 lokalen Ausgaben in einer – gedruckten – Gesamtauflage von 16,8 Millionen Exemplaren. Daneben kommen 21 Wochenzeitungen mit 1,7 Millionen Exemplaren und sieben Sonntagszeitungen mit einer Auflage von 2,9 Millionen heraus.

Von Esteban Engel und Sven Gösmann, dpa

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