Daily Archives: 13. August 2018

Die Eskadron des Bürgerbataillons (#200in365, No.38)

Leutnant Nikolai Köhn (links) und Chef Dieter Thäsler mögen Pferde und
schätzen die Tradition des Eskadrons. (© Foto: Benjamin Piel)

Wer nach Minden kommt, muss etwas verstehen, was nicht ohne Weiteres zu verstehen ist: das Bürgerbataillon und sein Freischießen. Wer nach jemandem sucht, der gut erklären kann, obendrein freundlich ist und ein großes Herz für das Freischießen hat, ist bei Dieter Thäsler gut aufgehoben. Er ist der Eskadron-Chef und führt dieses einzige berittene Schwadron innerhalb des Mindener Bürgerbataillons. Thäsler ist ein Kerl, wie man sich den Idealtypus eines kanadischen Holzfällers vorstellen würde: breit, kernig, kräftig, bärtig, männlich. Wenn er nicht gerade ein Pferd reitet, knattert er mit seiner Harley durch die Region.

„Sagen Sie niemals Schützenfest!“, das ist für den Anfang die vielleicht wichtigste Anweisung. Nein, Schützen sind sie nicht und wollen auch nicht für solche gehalten werden. Denn die Tradition des Bürgerbataillons ist nun einmal eine eigene, sehr lange, kontinuierliche und mit der Mindener Stadtgeschichte eng verbundene.

Das Freischießen gibt es bereits seit dem Jahr 1682. Durch die Weserfurt, an der der Fluss durchquert werden konnte, war Minden zu jener Zeit und auch danach ein wichtiger Handelspunkt. Als die Stadt befestigt wurde, sollte die Gründung des Bürgerbataillons zur Verteidigung beitragen. Die sechs zu Fuß gehenden Kompanien waren jeweils den verschiedenen Stadttoren zugeordnet. „Ein Verein zum Selbstzweck war das nie“, das ist Thäsler ganz wichtig. Erst später gab es in der dann als Garnisonsstadt bezeichneten Stadt eigene Soldaten.

Das Freischießen heißt so, weil der beste Schütze sich durch den Sieg vom Entrichten der Steuer befreien konnte. Das ist heute nicht mehr so, auch wenn Thäsler meint: „Das müsste man mal prüfen lassen.“ Denn eine Niederschrift über die Aufhebung der Steuerbefreiung sei ihm nicht bekannt. Schließlich besteht auch die Zahlung der 50-Taler-Prämie für die beiden besten Schützen noch, wenngleich nicht in Talern, sondern in Euro ausgezahlt. Heute ist das Bürgerbataillon übrigens ein Verein, der das Freischießen organisiert. Die Finanzierung des Festes sei nicht zu unterschätzen, sagt Thäsler: „Das finanzielle Risiko tragen wir allein.“ Wegen des hohen Aufwands findet das Freischießen seit 1984 nicht mehr auf Kanzlers Weide, sondern in der Innenstadt statt. Der Aufwand mit neun großen Festzelten sei damals nicht mehr zu halten gewesen. Seitdem sei auch der Ausnahmezustand in der Stadt, den das Freischießen bis dahin bedeutet hatte, nicht mehr ganz so ausgeprägt.

Die berittene Einheit besteht seit 1814. Wer dazustößt, kann entweder reiten oder muss es lernen. Wöchentlich findet eine Reitstunde statt. „Das ist einiges an Arbeit“, sagt Thäsler, denn Reiten sei nicht wie Fahrradfahren, das man nie wieder verlerne: „Jeder muss dranbleiben, denn der enge Bezug zum Pferd ist uns wichtig.“ Ein Kamerad, wie sie sich in der Eskadron gegenseitig nennen, hat ein Gestüt, insofern mangelt es nicht an Pferden, allerdings haben einige auch eigene Pferde. Einmal dabei, wolle niemand mehr die Eskadron verlassen, betont Leutnant Nikolai Köhn: „Wer einmal beim Freischießen zu Pferde in die Stadt geritten ist, der will nicht mehr zu Fuß gehen.“ Den Ritt in die Stadt absolvieren die aktuell 42 Männer der Eskadron übrigens auf Veranstaltungspferden, die Lärm und Menschenmengen gewöhnt ist. „Es wäre das Schlimmste, wenn etwas passieren würde, deshalb ist uns der Sicherheitsaspekt so wichtig“, betont Thäsler. Dass der Einsatz von Pferden in einer Menschenmenge nicht ungefährlich ist, hat in diesem Jahr ein Unfall während des Kölner Karnevalsumzugs klargemacht, als mehrere Pferde durchgingen und Menschen verletzt wurden. Dort hat man sich dazu entschieden, trotzdem nicht auf Pferde im Zug zu verzichten.

Beim Freischießen selbst hat jeder Teilnehmer einen Schuss, die am meisten im Zentrum der Scheibe liegende Zehn ist die Königszehn des Gewinners. Ein abgekartetes Spiel wie bei so manchem Schützenverein, wo der König schon vorher feststeht, ist das Freischießen nicht. Die Eskadron hat 2017 zum ersten Mal seit 33 Jahren den König gestellt. Können ist beim Schießen das eine, deshalb üben die Mitglieder es einmal im Monat. „Aber bei einem einzigen Schuss und bei Zehntel- und Hundertstelmillimetern, um die es geht, gehört auch Glück dazu“, weiß Thäsler.

Frauen kann übrigens bisher nicht einmal das Glück helfen, es zum Mitglied des Bürgerbataillons zu schaffen. Sonderlich gerne sprechen die Kameraden darüber nicht. „Wir wissen, dass wir uns ändern müssen, aber es ist ein umstrittenes Thema“, beteuert der Eskadron-Chef. Für viele der Jüngeren wäre es gar kein Thema, Frauen aufzunehmen. Einige Ältere dagegen lehnen das ab. Für sie bedeutet Tradition auch: bitte keine Frauen im Bürgerbataillon.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Drei Fragen an Wilfried Rettig: „Einmal Eisenbahner, immer Eisenbahner“ (#200in365, No.37)

Wilfried Rettig in der Uniform eines königlich-preußischen Bahnmeisters. (© Foto: Benjamin Piel)

Wilfried Rettigs Nachbarn müssen einiges aushalten können. Denn im Keller des pensionierten Eisenbahners läutet mitunter ohrenbetäubend eine Eisenbahnglocke. Dort stehen Signallaternen neben Karbidlampen und Fahrplankästen neben Heizerschaufeln. „Einmal Eisenbahner, immer Eisenbahner“, sagt der 76-Jährige. Seine Lieblingsstücke sind die 13 Uniformen.

Was ist Ihre Lieblingsuniform?

Die grüne Uniform eines Eisenbahndirektors der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen. Das war damals der höchste Eisenbahner in seinem Bereich. Diese habe ich mir nachschneidern lassen.

Was ist das Besondere an einer Uniform?

Wenn ich mit einer Uniform bekleidet irgendwo auftrete, dann sagen viele: „Damals sahen die Eisenbahner noch nach was aus.“ Uniformen haben eine große Wirkung. Die Jüngeren können aber weniger damit anfangen und in Deutschland ist das kein unbelastetes Thema. Deshalb tragen die Zugbegleiter heute auch keine Uniformen mehr, sondern Unternehmensbekleidung. Dass das wunderschöne, preußische Minden so wenig für Uniformen übrig hat, ist etwas enttäuschend.

Sie schreiben auch Bücher über Eisenbahnstrecken. Warum?

Ich habe immer gerne geschrieben. Nachdem mein erstes Buch ein Flop war, kam ein Verlag auf mich zu, ob ich nicht ein Buch über den Bahnknotenpunkt Görlitz schreiben wolle. Zuerst wollte ich nicht, 1994 kam es dann doch heraus. Eisenbahn-Strecken in meiner Heimat, dem Vogtland, sind mein Stammthema.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur