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Dem Rechtspopulismus entgegenstellen: Interview mit Jannes Tilicke (#200in365, No.33)

Der Sozialdemokrat Jannes Tilicke glaubt, dass Themen wie bezahlbarer Wohnraum und das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich derzeit zu stark unter den Tisch fallen. (© Benjamin Piel)

Jannes Tilicke (SPD) ist mit 27 Jahren das jüngste Mitglied im Mindener Stadtrat. Seit zweieinhalb Jahren ist der Vorsitzende der Minden-Lübbecker Jusos, der sozialdemokratischen Jungorganisation, Ratsherr. Wie schaut ein Unter-30-Jähriger auf die Arbeit eines Gremiums, in dem die Mehrheit der Mitglieder doppelt so alt ist wie er selbst?

Zweieinhalb Jahre im Rat Minden – war das eine gute Zeit?

Jannes Tilicke: Mit 15 Jahren bin ich in die Politik gegangen, weil das schon damals ein großes Thema für mich war. Im Rat habe ich bis jetzt viele interessante Einblicke bekommen. Vor allem, wie Minden funktioniert, wie die politischen Prozesse ablaufen. Dass die Ratsarbeit so detailreich ist, hätte ich vorher nicht gedacht. Auf der anderen Seite steht man sehr in der Öffentlichkeit. Auf AfD-Veranstaltungen wurde ich als Kopf der Linken in Minden bezeichnet. Häufig bekomme ich Nachrichten mit negativem Inhalt. Fünf, sechs sehr üble Mails waren darunter. „Der Linksversiffte ist gewaltbereit“, heißt es dann manchmal.

Wie gehen Sie damit um?

Mit Ironie, alles andere hilft nicht. Bis zu einem gewissen Grad der Kritik antworte ich auf die Nachrichten, weil ich es wichtig finde, mit Menschen, die eine andere Meinung haben, im Gespräch zu bleiben. Aber es gibt Leute, bei denen ich merke, dass ich an die sowieso nicht herankomme und dann lasse ich es. Wir müssen uns dem Rechtspopulismus lokal entgegenstellen. Über die Normalisierungsprozesse, die in dem Kontext stattfinden, bin ich erschrocken. Es geht vielen nur noch um Hetze, kein bisschen um konstruktive Diskussionen. Dieses Destruktive, dieses extreme Runtermachen von Menschen, das ärgert mich.

Haben Sie das Gefühl, dass Menschen sich aus diesem Grund aber auch wieder mehr für Politik, vielleicht auch für Kommunalpolitik interessieren, gewissermaßen als Gegenwehr?

Ja, durchaus. Interessanterweise war Trump ein großes Thema, das einige als Grund genannt haben, in die SPD einzutreten. Das Ergebnis der US-Wahl hat einige Leute erschreckt, ebenso die Wahlergebnisse der AfD. Viele, die neu in die SPD eingetreten sind, hatten das Gefühl, etwas tun zu müssen.

Sind Menschen, die sich über Flüchtlinge ärgert, aus Ihrer Sicht automatisch rechtsradikal?

Nein, so einfach ist das nicht. Einige sind von dem Thema einfach nur noch genervt. Sie können es nicht mehr hören. Da tragen die Medien eine Mitverantwortung. Es scheint so, als gäbe es kein anderes Thema mehr. Dass es immer weniger bezahlbaren Wohnraum gibt, ist für viele ein relevantes Thema, geht aber komplett unter. Niemand kommt am Thema Flüchtlinge vorbei – und das seit drei Jahren. Warum wird nicht genauso intensiv die Schere zwischen Arm und Reich diskutiert, die immer weiter auseinandergeht? Unter anderem, weil Journalisten oft geschlossen der Mittelklasse angehören. Sie sehen bestimmte Themen einfach nicht, weil sie in ihrer Lebenswirklichkeit keine Rolle spielen. Vom Leben eines Hartz-IV-Empfängers sind sie weit entfernt. Sie sehen diese Themen nicht sehr scharf und das ist ein Problem.

Was ist Ihr Ideal, innerhalb und außerhalb der Politik?

Ich wünschte mir eine Welt, in der Menschen konstruktiv gemeinsam an einer Sache arbeiten. Dieses Ideal sah ich bei der SPD am meisten erfüllt. Das war mein Grund, in die Partei einzutreten. Es gibt bei uns harte Diskussionen, aber sie sind themenorientiert und das ist das Wichtigste überhaupt.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur