Daily Archives: 12. Juni 2018

Braucht Minden eine Multihalle? Heute Live-Ticker aus der Ratssitzung auf MT.de, am 1. Juli MT-Stadtgespräch

Umstrittenes Großprojekt “Multihalle”. Die MT-Redaktion informiert heute livfe, am Sonntag, 1. Juli, veranstaltet sie im Fort A zudem ein Stadtgespräch. Repro: MT

Die politische Debatte um das umstrittene Großprojekt „Multifunktionshalle“ (das MT berichtete vielfach) geht am heutigen Dienstagabend gewissermaßen auf die Zielgerade. Der Rat der Stadt Minden kommt zu einer Sondersitzung im Kreistagssaal, Portastraße 13, zusammen. Beginn ist um 19 Uhr. Die Veranstaltung ist öffentlich, die Anzahl der Sitzmöglichkeiten begrenzt.

Das Mindener Tageblatt berichtet ab 19 Uhr mit Live-Beiträgen aus der Sitzung. Interessenten können dann die Beratungen per PC, Notebook, Tablet oder Smartphone auf der Internetseite des MT verfolgen und sich auch selbst mit Kommentaren beteiligen. Der Live-Ticker ist über den entsprechenden Artikel gleich oben auf der Startseite zugänglich – und das ausnahmsweise kostenfrei. Die jeweils neusten Einträge stehen oben, ältere sind in der Reihenfolge der Postings jeweils darunter zu finden. Über das kleine Sprechblasen-Symbol am oberen Rand des Tickers können Nutzer mitdiskutieren. Sie müssen dazu einen Nutzernamen wählen, können auf Wunsch ein Bild hinzufügen und ihren Beitrag schreiben. Nach einer kurzen Kontrolle durch die Redaktion erscheint der Kommentar dann im Ticker.

De Stream zur Ratssitzung wird zum größten Teil aus Textbeiträgen bestehen, da die Mindener Politiker in einem Grundsatzbeschluss das Filmen, Fotografieren und Tonaufzeichnungen aus Ratssitzungen verboten haben. Benjamin Piel und Monika Jäger werden die politischen Beratungen darum aktuell in Textbeiträgen laufend zusammenfassen und veröffentlichen.

Der erste Tagesordnungspunkt sind Bürgerfragen, anschließend folgt die Aussprache dazu, dann stellt die Stadtverwaltung nochmals die Ergebnisse der Grundlagenstudie und der Geschäftsplanungen vor. Nach ausgiebiger Beratung hatte sich der Verwaltungsvorstand nach eigenen Worten schweren Herzens zu einer Empfehlung gegen den Bau entschieden; die Politik könnte da allerdings für eine andere Weichenstellung sorgen. Möglicherweise werden die beiden großen Fraktionen für den Bau stimmen.

MT-Stadtgespräch im Fort A am Sonntag, 1. Juli

Bis zur Entscheidung am 12. Juli wird noch viel über dieses Thema debattiert – so auch beim MT-Stadtgespräch am Sonntag, 1. Juli, ab 11 Uhr im Fort A. Der Eintritt ist frei, allerdings ist die Zahl der Sitzplätze auch hier naturgemäß beschränkt.  MT-Chefredakteur Benjamin Piel, Lokalchefin Monika Jäger und Lokalredakteur Henning Wandel diskutieren mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur im Fort A noch einmal öffentlich die Chancen und Risiken einer Multifunktionshalle. Mit dabei sein werden neben Mindens Bürgermeister Michael Jäcke (SPD)  und Landrat Dr. Rainer Niermann (SPD) unter anderem auch GWD-Geschäftsführer Markus Kalusche, Konzertveranstalter Hans Stratmann und Eduard Schynol von der Tucholskybühne, die das Fort A zu ihrer Sommerbühne gemacht hat.

Lokaljournalismus im digitalen Zeitalter: Und was hat das mit dem MT zu tun?

Illustration: Alexander Lehn

Facebook, Amazon, Netflix, Google – das sind nur einige der Datenkraken, die an der Vision allgegenwärtiger Informationen arbeiten. Hinter dem Vorhang einer schönen neuen und vollständig durchdigitalisierten Welt stecken aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen – zum Beispiel für lokalen Journalismus. Der bekommt möglicherweise ganz neue Werkzeuge, um auch hinter Vorhänge zu schauen. Wie entwickelt sich (Lokal-)Journalismus in Zeiten anhaltender technischer Revolutionen? Sind Augmented Reality oder Virtual Reality mehr als nur Spielzeuge für Nerds oder Gamer? Was könnten die Leserinnen und Leser zum Beispiel des Mindener Tageblatts davon haben? MT-Lokalchefin Monika Jäger (auf Twitter unter dem Namen @eekaja unterwegs) hat sich auch dieses Jahr wieder auf der Internetkonferenz Re:publica18 nicht nur umgesehen, sondern auch zugehört. Und eine lesenswerte Panoramaseite für die Print-Ausgabe draus gemacht, die wir am 12.Juni mit einer kongenialen Illustration von Alex Lehn unter einem binären Titelkopf auf der Eins angekündigt haben.

Online gibt’s den Text (bzw. die Texte) natürlich auch (Plus-Artikel):

Die Panoramaseite zum Thema in der Print-Ausgabe des MT vom 12.6.2018. Repro: MT

 

Hohes Alter, großes Herz: Zu Besuch bei Ilse Finkeldey (#200in365, No.2)

Ilse Finkeldey sieht aus wie 75, ist 95 Jahre alt und aktiv wie eh und je. Sie selbst ist kritisch mit sich. Hinzunehmen, dass Dinge sind, wie sie sind, war und ist ihre Sache nicht. Foto: Benjamin Piel

In seinem ersten Jahr als Chefredakteur des Mindener Tageblatts will Benjamin Piel an 200 Orten mit 200 Menschen sprechen. Sie möchten ihn einladen? Kontaktieren Sie ihn per Mail an benjamin.piel@mt.de oder unter der Telefonnummer (0571) 88 259

Es muss eine Mischung aus Vitalität, Lebenswillen und Disziplin sein, die Ilse Finkeldey ein Leben ermöglicht, dessen Schilderung fast ein bisschen unglaubwürdig klingt. Mit ihren annähernd 96 Jahren wohnt sie allein in einer Wohnung ihrer Mindener Gründerzeit-Villa, dem früheren Haus ihrer Großeltern. Wer die Wohnung betrifft, schreitet auf schweren Teppichböden durch eine riesige Etagentür. Auf den Tischen stehen die Bilder wie mit dem Maßband abgemessen, daneben Plüschsessel. Finkeldey lädt zum Kaffee aus Goldrand-Tassen in den Wintergarten. Durch die Scheiben fällt der Blick auf einen kleinen Garten, in dem die Blumen in Reihen stehen, die Archimedes kaum exakter hätte berechnen können. „Darüber haben sich schon einige gewundert“, sagt Finkeldey und lächelt.

Ihr gefällt es wohl, dass andere staunen über sie. Darüber, wie sie das bloß macht: Auf die 100 zuzugehen, aber auszusehen wie 75, alleine zu leben, aber so akkurat eingerichtet, dass es kaum zu steigern ist. Bald geht es mit der Mindener CDU-Seniorenunion, die sie 1987 gegründet hatte, wieder nach Berlin. Nein, Ilse Finkeldey ist nicht irgendeine Teilnehmerin der Exkursion. Sie hat die Fahrt organisiert, hat den Bus gemietet, das Tagesprogramm ausgearbeitet, inklusive Schifffahrt auf der Spree. Eine Überforderung für eine so alte Frau? Unzumutbar? Die Ur-Mindenerin wirkt nicht so, als würden sie ihre Planungen allzu sehr belasten. Bis heute schafft sie es, als Wahlhelferin zu arbeiten.

Dass sie 1996 den Ehrenring der Stadt Minden bekommen hat, hat einiges mit ihrer damals vermutlich noch größeren Vitalität zu tun. Sie hat sich immer für ihre Heimatstadt eingesetzt. Mal hat sie neue Bäume auf einer kahlen Stelle im Fischerglacisgepflanzt, mal Geld gesammelt, um einem damals noch städtischen Altenheim Sitzbänke zu kaufen, ein anderes Mal Sitzgelegenheiten auf Kinderspielplätzen zu finanzieren geholfen. Immer wieder ist sie an Schulen gewesen, um den Schülern aus der deutschen Vergangenheit zu berichten.

Sie kann sich genau daran erinnern, wie am 9. November 1938 die Mindener Synagoge brannte. Wie die Nazis den Rabbi im weißen Nachthemd von einem Rotdorn schlugen, auf den er sich geflüchtet hatte: „Den haben sie totgeprügelt.“ Dass Judenfeindlichkeit wieder salonfähig zu werden droht, schmerzt sie, die einen siebenarmigen Leuchter im Wohnzimmer stehen hat. Vor ein paar Jahren hat sie eine Frau besucht, die meinte, sie schätze keine Menschen, die Judenkult betrieben. Finkeldeys Antwort: Drei Wörter. „Dann gehen Sie!“

Finkeldey ist nur um die 1,50 Meter klein, aber sie steckt vom Scheitel bis zur Sohle voll mit Ideen. Ihr Körper mag geschrumpft sein, acht Zentimeter, erzählt sie. Aber ihr Blick dafür, was notwendig ist, der ist mit den Jahren nicht schwächer geworden. Den Ehrenring – eine Goldfassung mit blauem Siegelstein – trägt sie nur selten. Aber heute hat sie sich ihn über den Finger gestreift. Etwas Besonderes ist er schon. Erst 13 Personen haben ihn innerhalb der vergangenen 54 Jahre bekommen.

Ein Gedanke schmerzt die Seniorin: „Ich bleibe hier über.“ Viele Freundinnen und Freunde, viele Bekannte sind gestorben. „Manchmal gehe ich dreimal die Woche auf Beerdigungen“, beklagt sie. Einen Vorstand für ihre Senioren-Union bekommt sie kaum mehr zusammen, von den ehemals fast 400 Mitgliedern sind keine 60 mehr übrig.

Es wirkt, als könne sich die gelernte Maschinenstrickerin und Kauffrau, die 25 Jahre lang Mitglied des Stadtrats gewesen ist, beliebig an alles erinnern. Finkeldey selbst ist kritisch mit sich: „Ich kann mich schlechter erinnern als früher.“ Ihr Arzt schüttle immer mit dem Kopf und frage: „Was verlangen Sie eigentlich von sich?“ Ilse Finkeldey zuckt mit den Schultern. Ja, was verlangt sie sich selbst eigentlich ab? Wenig gewiss nicht. „Andere Menschen in Freude zu sehen“, sagt sie, das habe sie immer am glücklichsten gemacht. Hinzunehmen, dass die Dinge sind und bleiben müssen, wie sie sind, das war ihre Sache nicht. Das ist es, was sie von sich selbst verlangt.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur