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Das Massaker von Babi Jar und die ukrainische (Erinnerungs-)Politik

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Auf dem Maidan-Platz sind die Nationalfarben seit der Revolution präsent. MT-Foto: Regier

Anlässlich des 75. Jahrestags des Massakers von Babi Jar besichtigte ich im Rahmen einer deutsch-ukrainischen Jugendbegegnung den ehemaligen Ort des Verbrechens  und sprach mit Zeitzeugen. Initiiert und ermöglicht wurde diese Reise von der humanitären Hilfsorganisation „Maximilian-Kolbe-Werk“, die den Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager und Ghettos hilft.

Babi Jar, was soll das sein? Vermutlich müssten erst viele eine Suchmaschine benutzen. Die allgemeine, deutsche Vergangenheitsbewältigung hat Babi Jar bisher eher ausgeklammert. Es gibt andere, deutlichere Symbole für den Holocaust wie das KZ Auschwitz.

Dort, wo über 30.000 Juden erschossen wurden, geht das Leben rund um den 75. Jahrestag weiter. Heute ist aus der einstigen Todesschlucht ein grüner Park geworden, in dem sich Menschen beschäftigen, Sport treiben oder mit ihren Kindern spielen. In Auschwitz ist das anders, ernster und nachdenklicher, habe ich bei meinen Besuchen bemerkt. Es scheint, als ob die Ukrainer erst lernen müssen, wie sie mit einem dunklen Kapitel der Geschichte umgehen wollen. Dabei haben sie momentan ganz andere Probleme – das Land steckt immer noch in einer Krise.

Der Euromaidan, der Sturz von Präsident Wiktor Janukowytsch und die Revolution sind erst drei Jahre her. In Kiews Zentrum auf dem „Unabhängigkeitsplatz“ erinnern noch so manche Andenken, Gedenktafeln und Hinweise an die über 80 Opfer, die dort starben. Im Westen des Landes geht der Krieg weiter, ein Ende und eine Lösung sind nicht in Sicht. Die Ukraine ist gespalten, der Hass auf Wladimir Putin und Russland wächst. Der jetzige Präsident Petro Poroschenko wird immer kritischer gesehen und der Wirtschaft geht es schlecht, erfahre ich aus Gesprächen. Kurz: Viele (Studenten) wollen weg. „Ich glaube, dass es bald zu einer neuen Revolution  kommen könnte“, sagte ein Taxi-Fahrer, „denn verändert hat sich seit der letzten wenig.“ Erinnerungspolitik scheint deswegen in den Hintergrund zu geraten. Gewundert hat es mich nicht.

Mein Artikel im MT: “75. Jahrestag des Massakers von Babi Jar: Ein Überlebender erinnert sich” (7.10.2016, Plus-Inhalt)

Von Ilja Regier, Volontär in der MT-Redaktion