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Ein Arm für den Fluss – Die Weserfreunde und ein Kies-Unternehmer haben geschafft, was lange undenkbar schien. Sie haben den starren Uferrandbereich der Weser durchbrochen. Das Ergebnis soll ein Naturparadies werden (#200in365, No.98)


Der Schlamm schmatzt unter den Schuhen. Wer keine Gummistiefel trägt, hat verloren. Ein Bagger wühlt sich durch den Matsch. Schwerfällig schieben seine Ketten den nassen Boden Meter um Meter zur Seite. Bald wird das Baugerät verschwunden sein und dann wird langsam die Natur das Gebiet einnehmen.

Noch sieht an der Weser zwischen Schachtschleuse und Leteln wenig nach Natur aus. Wer es nicht besser weiß, könnte denken, ein Bulldozer-Fahrer habe den Verstand verloren und in seiner Raserei eine Grünlandfläche in einen Morasthaufen umgepflügt. Wer verstehen will, dass dort innerhalb der zurückliegenden eineinhalb Jahre so etwas wie eine Revolution stattgefunden hat, der muss auf jemanden wie Detlef Sönnichsen treffen. „Es ist fertig“, sagt er, lacht und breitet die Arme aus. Wo der Laie nichts als Schlamm und ein Wasserloch sieht, da geht dem Wasserbauer vom Mindener Verein Weserfreunde das Herz über.

Denn der entstandene Ökopolder ist entlang der 452 Kilometer langen Weser ein einzigartiges Projekt. Zumindest sagen die Weserfreunde, dass ihnen kein ähnliches Projekt bekannt sei. Dass der Fluss „Lichtjahre entfernt von einem natürlichen Ufer“ ist, erklärt sich dadurch, dass die Weser eine Bundeswasserstraße ist. Der Bund als Eigentümer hat vor allem eins im Blick: einen sicheren und möglichst reibungslosen Schiffsverkehr. Die Preußen hatten den Fluss von seiner natürlichen in eine streng genormte Breite und Tiefe gebracht. Damals sei der Fluss „verdorben worden“, findet Sönnichsen. Die Weserfreunde wollen zumindest in Minden möglichst viel des alten Fluss-Charakters wiederherstellen. „Ein Löchlein haben wir schonmal reinbekommen ins dicke Brett“, triumphiert Sönnichsen. Es ist ein Löchlein, das noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen sei.

Blick von oben auf den entstandenen Ökopolder zwischen Schachtschleuse und Leteln. MT-Foto: Alex Lehn

Ohne Otto-Wilhelm Held, der zwei Kieswerke in der Region betreibt, wäre das Projekt für die Weserfreunde finanziell niemals umsetzbar gewesen. Der Verein wollte dem Fluss einen Arm geben, der Unternehmer ist immer auf der Suche nach dem Rohstoff Kies. Der ist in Zeiten der boomenden Baukonjunktur knapp wie nie. So kam es schließlich zu einem Projekt, das wirtschaftliche Verwertung und Herstellung der Altarm-Struktur zusammenbrachte. Nach einigem Hin und Her erteilte die Bezirksregierung die Genehmigung für das Projekt, Held kaufte die Grünfläche, Landschaftsplaner Wolfgang Hanke von den Weserfreuenden erarbeitete den Entwurf, dann gruben Helds Mitarbeiter los. Zunächst trugen sie 100.000 Kubikmeter Auelehm ab. Dann förderten sie ab einer Tiefe von zwei Metern 200.000 Tonnen Kies zu Tage. Anschließend brachten sie den Lehmboden wieder ein und formten aus Sand kleine Inseln in den Arm. Das unterschiedliche Höhenniveau im Wasser soll Tieren zu Gute kommen, weil es der natürlichen Formenvielfalt entspricht. Weserfreunde und Unternehmer sprechen von einem „durchaus nachhaltigen Verfahren“, das in dieser Größenordnung und schnellen Umsetzung bemerkenswert sei.

In diesem Jahr sind die Arbeiten auch wegen der besonders ausgeprägten Trockenheit reibungslos verlaufen. Held erinnert sich allerdings, dass das Flusswasser im zurückliegenden Jahr vier Mal das gesamte Areal überflutet hatte: „Alle Maschinen mussten weg, das waren schon herausfordernde Situationen.“

Er und die Weserfreunde können sich gut vorstellen, ähnliche Projekte an anderen Orten zu wiederholen. Zunächst aber wollen sie schauen, wie sich die Natur „dieses Gebiet zurückholt“, wie Sönnichsen es ausdrückt. Pflanzen und Tiere würden ganz von allein kommen: „In zwei, drei Jahren wird das ein Naturparadies sein, auf das wir jetzt schon stolz sind.“ Dass der Kormoran schon jetzt sehr aktiv sei, zeige, dass bereits Fische den Arm als Rückzugsort nutzen. Sie sollen dort auch einen Ort zum ungestörten Laichen finden. Der Mensch darf den Bereich übrigens betreten – er ist kein Naturschutzgebiet.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur