Monthly Archives: August 2018

Der Verein Ehe- und Lebensberatung will Menschen aus schwierigen Situationen heraushelfen (#200in365, No.44)

Ehe- und Lebensberaterin Annett Speel (links) und die Seelsorgerin Gabriele Bleichroth beraten in Minden Paare und Einzelpersonen. MT-Foto: Benjamin Piel

In guten wie in schlechten Zeiten, das haben sich manche Paare in der Kirche geschworen. Doch wenn die schlechten Zeiten dann kommen, reichen die Schwüre oft nicht. Die sichere Rettung, das können die vier Mindener Beraterinnen des Vereins Ehe- und Lebensberatung nicht sein. Aber sie möchten sich mit Paaren und Einzelpersonen auf den Weg machen, Wege aus der Krise zu finden.Keine Institution trägt denVerein, sodass die Finanzierung immer auf der Kippe stehe, sagen die Ehe- und Lebensberaterin AnnettSpeel und die Seelsorgerin Gabriele Bleichroth.

Es gibt das Klischee, dass Frauen in eine Eheberatung möchten und ihre widerwilligen Männer dorthin tragen müssen. Stimmt das so noch?

Annett Speel: Nein, da hat sich einiges gewandelt. Die Schwelle in eine Beratung zu gehen ist unter anderem durch Medienberichte niedriger geworden. Heute glauben viele, dass es hilfreich sein könnte„mal mit einem Außenstehenden zu reden“,wie viele das formulieren. Inzwischen kommen teilweise mehr Männer als Frauen, auch in die Einzelberatung. Viele Männer haben kapiert, dass es sich durchaus lohnt, über Gefühle zu reden und nicht so tun, als habe man das nicht nötig. Es kommen auch mal Vater und Sohn, die einen Moderator brauchen, der übersetzt, was zwischen den beiden nicht mehr ankommt.

Bei den Beziehungsproblemen, gibt es da die typischen Klassiker, die Ihnen in Ihrer Arbeit immer wieder begegnen?

Annett Speel: Es gibt zum Beispiel junge Paare,die ihr zweites Kind bekommen und ein Haus gebaut haben, der Beruf stresst, die Situation ist überfordernd. Die sind dann manchmal völlig am Ende, der Partner wird zum Ventil der Probleme. Alles, was man am anderen mal so attraktiv gefunden hat, scheint weg zu sein.

Gabriele Bleichroth: Was übrigens auch damit zu tun hat, dass heute ein großer Erwartungsdruck herrscht. Man soll gut aussehen, beruflich erfolgreich, aktiv in der Freizeit sein und so weiter. Diese Erwartungen machen es natürlich auch für eine Beziehung nicht einfacher.

Dass die Kinder eine andere Rolle haben als früher auch nicht.

Annett Speel: Auch das. Kinder haben mehr Macht in Familien als früher. Damals liefen die Kinder eher nebenher mit, heute stehen sie oft sehr im Zentrum. Viele Eltern müssen sich heute viel mehr damit auseinandersetzen, dass Regeln helfen können. Auch dass die Männer sich sehr viel stärker an der Erziehung beteiligen möchten, bringt ganz andere Probleme mit sich als früher. Damals war die Situation zwar oft unbefriedigender für die Frauen, aber in gewisser Weise auch einfacher.

Was wäre eine weitere typische Krisensituation in Beziehungen?

Annett Speel: Das sogenannte Empty.Nest-Syndrome. Die Kinder sind aus dem Haus, Paare, die immer viel zu tun hatten, fühlen sich dann manchmal leer. Und einige Menschen wollen sich in der zweiten Lebensphase neu orientieren, noch einmal durchstarten, was zu Spannungen mit dem Partner führen kann.

Gabriele Bleichroth: Ein weiteres Thema, dass es immer häufiger gibt, sind Wochenendbeziehungen, weil immer mehr Menschen weiter entfernt arbeiten. Und schließlich gibt es Krisen wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit.

Was ist mit dem Faktor Zeit?

Annett Speel: Das ist ein großes Thema. Smartphones zum Beispiel haben eine sehr gute Seite, aber sie können auch kontrollierend und zeitfressend wirken. Der eine wartet auf ein Gespräch, der andere verdaddelt die Zeit. Außerdem passieren per moderner Kommunikationstechnik viele Missverständnisse. Über SMS und WhatsApp reden die Partner mitunter sehr aneinander vorbei.

Zum Glück gibt es nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen.

Gabriele Bleichroth: Die Schwierigkeiten sind nicht alles, genau. Aus dem unübersehbaren Müllberg soll ja ein Lichtblick werden. Bei uns ist Sortieren angesagt. Hier wird nicht nur geweint. Manchmal ist der Raum voller negativer Energie, voller Wut. Aber dann schaffen es viele, sich zu lockern, die angenehmen und leichten Seiten am anderen wiederzuentdecken, zusammen zu lachen. Unsere Aufgabe ist nichts, was nur runterzieht, sondern hat bei aller Schwere etwas Bereicherndes.

Annette Speel: Paare merken hier auch, dass es Arbeitist, miteinander und an sich selbst zu arbeiten. Das ist anstrengend. Es läuft nicht so, dass wir die Lösung haben und dann ist alles gut. Unsere Aufgabe ist es zu unterstützen, dass sich die Menschen auf die Suche nach dem eigenen Weg machen.

300 Menschen sind im vergangenen Jahr zu Ihnen in die Beratung gekommen. Neben den Einzelberatungen zeigt das doch auch, dass wir nicht in einem Zeitalter der Beziehungslosigkeit leben, oder?

Gabriele Bleichroth: Partnerschaft hat noch immer einen sehr, sehr hohen Wert. Teilweise einen so hohen, dass er fast schon religiös überladen ist, was dann auch wieder schwierig ist, weil das eine Überforderung sein kann. Geborgenheit und Sinnhaftigkeit – diese Wert stehen hoch im Kurs.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

„Alle sind gemeinsam auf dem Weg“ – Friedrich Kasten leitet die Kinder-und Jugendarbeit im Kirchenkreis (#200in365, No. 43)

Friedrich Kasten arbeitet
daran, dass junge Leute
eine Beziehung zur Kirche
aufbauen.
MT-Foto: Benjamin Piel

Kinder, Jugendliche und die Kirche – das dürfte nicht immer das einfachste Verhältnis sein. Zumindest schätzt nicht jeder Teenager Gemeindenals Orte, wo das Leben ihrer Vorstellung tobt. Doch mitunter könnte es nur ein Klischee sein, dass eine tiefe Kluft zwischen der Kirche und der Jugend liegt. Dass der Graben möglichst klein ausfällt und junge Leute eine Beziehung zur Kirche aufbauen, daran arbeitet Friedrich Kasten als Geschäftsführender Gemeindepädagoge von„Juengerunterwegs“.Erkoordiniert die Kinder- und Jugendarbeit im Kirchenkreis Minden.

Jünger – das ist ja ein ganz schön angestaubtes Wort für eine Organisation, die mit und für junge Menschen in der Kirche arbeitet.

Diesen Namen hat die Evangelische Kirche von Westfalen entwickelt, zu dem der Kirchenkreis Minden gehört. Etwa 15Kirchenkreisearbeitenda mit, der Kirchenkreis Minden seit vier Jahren. Der Name ist mehrdeutig. Einerseits erinnert der Name natürlich an die zwölf Jünger Jesu, seine ersten Nachfolger. Es ist aber auch gemeint, dass viele dort jünger sind als der Durchschnitt in der Kirche. Und das „ue“ statt „ü“ steht für evangelisch oder auch engagiert.

Was genau machen Sie bei „juenger unterwegs“?

Wir sind zuständig für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Kirchengemeinden. Wir machen zum Beispiel ehrenamtliche Mitarbeiter für die Arbeit in den Gemeinden fit, beraten Kirchengemeinden in Fragen der Jugendarbeit oder koordinieren Freizeiten. Letztlich sind wir eine Art Lobby für Kinder und Jugendliche innerhalb des Kirchenkreises und wollen zu einem Prozess des Weiter-Denkensbeitragen. Es gab eine ganze Weile den Trend, zwischen der Kirche einerseits sowie Kinder- und Jugendarbeit andererseits innerhalb der Kirche zu trennen. Tatsächlich ist das gar nicht möglich, beides gehört zusammen. Es geht eher darum, die Kräfte zu bündeln.

Wie kann Kirche, die oft als eng, angestaubt und langweilig gilt, es schaffen, attraktiv für Kinder und Jugendliche zu sein?

Das Interesse ist immer da gegeben, wo Kinder und Jugendliche das Gefühl haben,dass sie ernst genommen werden, dass etwas zurückkommt, dass Gemeinschaft und Beziehungen entstehen, dass man sie wertschätzt. Mehr Beteiligung, das ist sicher ein Weg, der am ehesten funktioniert. Alle sind gemeinsam auf dem Weg, das ist ein gutes Signal. Die müssen merken: Da lebt was, da bewegt sich was, hier kann man was bewegen.

Wie ist das konkret möglich?

Beispielsweise bei Gottesdiensten, die Jugendliche gestalten, wenn Jugendliche bei der Konfirmandenarbeit mitmachen oder Jugendliche als Mitarbeiter bei einer Freizeit mitfahren. Jugendliche wollen eine Aufgabe, wollen sich einbringen. Das macht Kirche möglich und dann merken die Jugendlichen, dass das angeblich Verstaubte doch spannend ist.

Auch die christliche Botschaft?

Ja, auch die, zum Beispiel die Botschaft, dass ein Mensch sehr viel mehr wert als die Summe seiner Leistungen. Dass jeder einen Platz in der Kirche hat, auch die nicht so Leistungsstarken, auch die, die gerade einmal down sind. „Du bist so in Ordnung, wie du bist, du musst keine Maske tragen“, das ist eine frohe Botschaft, die auch Jugendliche durchaus sehr attraktiv finden.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

 

Meine Woche: 10.000 Zeichen Glück


Wenn er 10.000 Zeichen am Tag geschrieben habe, dann habe er richtig in die Tasten gehauen und diszipliniert geschrieben. Dann habe er ordentlich was geschafft, das sagte mir mal ein Freund und Autor. Immerhin gibt es schon mehrere Bücher von ihm. Und von mir?

Ich habe auch schon viel geschrieben, aber wenig, was den Tag überdauert – und selten eine ganze Woche. Und außerdem denken wir Journalisten in Zeilen. Zeitungszeilen.

Ein Ex-Kollege in einer Redaktion einer größeren Stadt sagte morgens in der Konferenz, er habe noch 300 Zeilen zu schreiben. Dann war er aus dem Schneider, und die Chefs drückten ihm nicht zusätzliche Arbeit, ungeliebte Termine mit noch ungeliebteren B- und C-Promis oder solchen, die sich dafür hielten, aufs Auge. 300 Zeilen, das hieß bei 80 Zeilen Obergrenze für Artikel in jener Redaktion und bei 35 Anschlägen pro Zeile (Leerzeichen mitgezählt) vier Aufmacher und … 10.500 Zeichen plus Anschläge für Überschriften Bildunterzeilen etc. Der Ex-Kollege und mein Freund hatten also – quantitativ betrachtet – den selben Gradmesser für Produktivität – und Glück.

Und ich? Ich habe dann mal eine paar gute Tage rausgegriffen und war überrascht. 12.000 Zeichen, 14.000 und gar 15.000. Es geht also – und es waren anstrengende Tage, durchgepowert, keine Mittagspause, zum Glück wenig Störungen, spät nach Haus. Aber produktives Schreiben beglückt in diesem Job, der viel Spontaneität erfordert und Stress beinhaltet. So wie neulich, da hatte so ein befriedigendes Gefühl, so aus dem Bauch heraus. Deshalb habe ich gerade mal gezählt – oder besser: zählen lassen, das Textverarbeitungsprogramm nämlich. 13.774 Zeichen. Ja, mein Freund und Buchautor, da hat man was geschafft. Dafür musste auch unser Mittagessen dran glauben.

Doch dann eine ganze Woche lang wenig in der Zeitung, gerade mal ein Kommentar, ein Text aus traurigem Anlass und sonst Kleinkram. 9.518 Zeichen. Kümmerlich.

Aber ganz, ganz viele Leserbriefe redigiert. Die Leser waren unglaublich produktiv. Das kostet Zeit, das kostet manchmal auch Nerven. Aber auch das ist ein hohes Gut dieser Zeitung und derer, die daran arbeiten: die Meinung der anderen! Und einige habe ich vermutlich glücklich gemacht: insgesamt 20.220 Zeichen in der Zeitung. Quasi die doppelte Tagesration.

Und ich habe mit einigen korrespondiert – 12.563 Zeichen. Und mit Kollegen – 4.613 Zeichen. Und für den Betriebsrat Protokolle geschrieben – 10.833 Zeichen. Also war die vergangene Woche doch gar nicht so unproduktiv.

Aber diese Woche wird erst richtig gut. Denn der Kollege, für den ich vertretungsweise die Leserbriefe betreut habe, kommt aus dem Urlaub zurück, die Sommerferien sind vorbei, und ich habe Lust auf 50.000 Zeichen.

Von Jürgen Langenkämper, Lokalredaktion