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20 Porta extra · Mai 2017 Aus Gründen der Sicherheit Kinderlandverschickung in Zeiten des Krieges – ein Erlebnisbericht aus dem Jahr 1944 mit Kopftuch und ihrem Sohn Willi abgeholt. Karl Mettin, der damals 13 Jahre alt war, wurde auf dem Bauernhof Stremming an der Alten Poststraße, seine Schwester Elfriede, die elf Jahre alt war, auf dem Hof Witthaus, nur 100 Meter entfernt, untergebracht. „Ich bin eine alte, kranke Frau und kann mich nicht um dich kümmern“, so hätte die Bäuerin den Jungen begrüßt, doch er hätte ganz praktisch denkend erkannt, dass hinter ihr auf dem Herd zwei große Pfannen mit Stippgrütze brutzelten und lecker dufteten, „so galt mein Interesse vorderhand dem leiblichen Wohle“. Und dann hätte ihn gleich „Tante Lina“, die ledige Schwester des Bauern und gute Seele des Hauses, an die Hand genommen und ihm die vorläufige Schlafstelle gezeigt. „In dem Zimmer stand unter anderem ein Fliegenschrank, in dem lauter gute Sachen hingen: Speckseiten, Würste und Schinken. Ein großer Steintopf mit Schmalz und einer mit Rübenkraut standen in einer Ecke. Also ein Verhungern über Nacht war unmöglich“, so die damals durchaus wichtigen Feststellungen eines Jungen, der bisher in der Stadt nur von dem satt werden musste, was es auf Lebensmittelmarken zu kaufen gab. Nach ein paar Tagen bekam Karl ein Zimmer neben den Polenmädchen Loscha und Wanlaus, genannt Stani, war Pole und mit 17 Jahren von zu Hause deportiert worden, Serge war Ukrainer, etwas älter und ebenfalls deportiert. Alle vier Ostarbeiter sprachen sehr gut Deutsch, und Haus, Hof und Felder sahen, wie diese jungen Menschen, immer proper aus. Das Bild vom östlichen Untermenschen, wie es in Naziparolen hieß, war eine Lüge.“ Alle Bewohner des Hofes, auch die Ostarbeiter, hätten zu den Mahlzeiten an einem Tisch gesessen. Das war streng verboten. Doch niemand, auch nicht der Schwiegersohn als Kreisbauernführer und Parteimensch, hätte das beanstandet. Bezeichnend sei gewesen, dass Bauer und Bäuerin mit Vater und Mutter angeredet worden wären. Es dauerte nicht lange, bis Karl an der Kettenbrücke den KZ-Häftlingen begegnete. Stani, Serge und er mussten mit dem Pferdegespann warten. Und er hat in die Gesichter dieser Menschen gesehen: „Die meisten waren verschlossen, traurig oder auch teilnahmslos. Viele waren darunter, die, wenn ich mir die scheußliche Häftlingskleidung wegdachte, in mein normales Umfeld gepasst hätten“. Für einen Augenblick hätte er geahnt, welche Gedanken Stani und Sergej bewegt haben könnten, als Stani auf seinen fragenden Blick „Scheiß Krieg“ gesagt habe. Schule und Hitlerjugend üb- Robert Kauffeld Barkhausen. „Trennung von Eltern, Freunden und heimatlicher Umgebung, Eintauchen in eine andere Welt“, so beschreibt Karl Mettin, was er 1944 unter der Bezeichnung „Kinderlandverschickung“ erleben musste. Die brachte ihn auf einen Bauernhof nach Barkhausen. Sicherheit vor den Bombenangriffen der damaligen Gegner war der Grund, denn man wohnte in Bielefeld-Schildesche in unmittelbarer Nähe des Viaduktes. Der sollte später tatsächlich Ziel von Bombenangriffen werden. Johanna Mettin, die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Karl, hatte einen kurzen Bericht im Fernsehen über das KZ im Kaiserhof gesehen und sich erinnert, dass ihr Ehemann seine Erlebnisse in Barkhausen in einem umfangreichen Bericht niedergeschrieben hat, den sie jetzt gerne zur Verfügung stellen wollte. „Am 28. Januar 1944 ging es los“, so beginnt der Bericht, „mehrere Busse standen bereit, um etwa 150 Kinder aufs Land zu bringen. Rolf Isringhausen, meine Schwester und ich landeten im alten Ortsteil Aulhausen der Gemeinde Porta-Barkhausen. Rolf kam zu Leuten in einem kleineren Hause am Dorfrand Richtung Minden. Meine Schwester und ich wurden von einer jüngeren Frau da, die als Fremdarbeiterinnen auf dem Hof arbeiteten. „Sie waren beide sehr hübsch, adrett und fleißig“ – dafür hatte Karl durchaus schon ein Auge, und er erkannte bald, dass sie das Haus in Ordnung hielten, das Melken der zehn Milchkühe besorgten und auf dem Feld und im Garten arbeiteten. Arbeit gab es viel, weil die drei Söhne der Bauersleute Soldaten waren und der Bauer über 70 Jahre alt und fast blind war. Mettin berichtet weiter: „Die Arbeit auf den Feldern und im Stall und im Winter auch im Wald unterhalb des Porta-Denkmals verrichteten zwei junge Ostarbeiter. Stanis- Karl Mettin, der über seine Zeit in Barkhausen berichtet hat. Foto: NW Plakate, mit denen für die Kinderlandverschickung geworben wurde. Fotos: Kauffeld


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