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20170117.JOHANN

AUSGABE 1/2017 13 Schritt für Schritt ins neue Leben Zwei junge Männer aus Afghanistan haben nach einer abenteuerlichen Flucht in Minden ein neues Zuhause gefunden. Sie arbeiten als Zeitungszusteller beim MT. Jamal Imari (Name von der Redaktion geändert) hat einen Traum. Er will Journalist werden. Er will spannende Themen recherchieren, packende Berichte schreiben, Geschichten erzählen. Geschichten über Ereignisse und über andere Menschen. Dabei bietet sein eigenes Leben schon genug Stoff für eine ganze Zeitung. Jamal Imari ist 22 Jahre alt. Er stammt aus Afghanistan. Jeden Morgen trägt er das druckfrische Mindener Tageblatt in der Altstadt aus. Schon mal ein Anfang. In seinem Heimatland studierte er im dritten Semester Journalistik. Nebenbei hatte er einen Buchladen. Und war umgeben von Unruhen, Gewalt, Missbrauch. Das Grauen ist schwer in Worte zu fassen. Für Jamal Imari war das lange Zeit gelebte Realität. Er arrangierte sich damit. Irgendwie. Doch mit der Zeit schnürte ihm die Angst immer weiter die Kehle zu, nahm ihm die Luft zum Atmen. Jamal Imari verkaufte seinen Laden und investierte das Geld in ein Flugticket in den Iran. Seine Odyssee begann am 6. August 2015. Er ließ alle zurück: Vater, Mutter, Schwester, die drei Brüder und sein gesamtes soziales Umfeld. In den folgenden Monaten floh er über die Türkei, Griechenland und Mazedonien. Per Flugzeug, Bus, Boot, Zug, Auto oder zu Fuß – jedes Fortbewegungsmittel war ihm recht. Er wollte nur eines: weg. Nach 76 Tagen kam der junge Afghane endlich in Deutschland an. Anfangs war er im Sauerland untergebracht, später kam er nach Minden. Zurzeit lebt er in einer Wohngemeinschaft. Beim Mindener Tageblatt arbeitet er jeden Morgen, von halb zwei Uhr nachts bis sechs Uhr tet darum, die Gartentür geschlossen zu halten, damit der Hund nicht wegläuft. Jamal Imari ist beim Mindener Tageblatt nicht der einzige Zusteller aus Afghanistan. Auch sein Landsmann Nuri Baizu (Name von der Redaktion geändert) verteilt die neuesten Nachrichten. In der Nordstadt. Zwei Monate war der 19- Jährige zu Fuß auf der Flucht. Jetzt lernen beide erst einmal Nach der Arbeit wird fleißig die Schulbank gedrückt Deutsch. Nach den ersten grundlegenden Sprachkursen drücken Jamal und Nuri nun täglich die Schulbank, um die fremde Sprache möglichst morgens. Schwingt sich auf sein Fahrrad, holt die zu verteilenden Zeitungen ab, bepackt die Seitentaschen und den Anhänger, der hinten am Fahrrad montiert ist. Die Mindener Altstadt ist sein Revier. Schnell kannte er sich hier aus, war mit den Vorlieben der Leser vertraut. Der eine möchte seine Zeitung ganz gerade, auf keinen Fall gerollt im Briefkasten vorfinden. Der andere bit- schnell zu perfektionieren. Denn eines steht fest: ohne Sprache keine Integration. Und integrieren wollen sie sich. Die zwei haben einen Flüchtlingspaten an ihrer Seite. Claus Kynast ist pensionierter Polizist. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Dank seines Netzwerkes ist der Kontakt zur Unternehmensgruppe J.C.C. Bruns entstanden, die sich in der Initiative „Flüchtlingspartner Minden“ engagiert. „Arbeit zu haben, stärkt das Selbstwertgefühl“ Die Aufgabe als Zusteller schien ideal für die beiden jungen Männer aus Afghanistan. Zwei Wochen lang machten sie ein Praktikum. Machten es so gut, dass der Verlag den Gang durch die Instanzen aufnahm: Und der war langwierig. Fast zwei Monate dauerte es, bis Teamleiterin Olga Giesbrecht alle erforderlichen Papiere und Genehmigungen zusammenhatte, die die Voraussetzung für die Arbeitsgenehmigung waren. „Da ist man als Betrieb auf sich allein gestellt, herauszufinden, wie das funktioniert.“ Ablaufpläne oder Vorgaben, an denen man sich entlanghangeln könnte, gibt es nicht. Vielmehr sind Geduld und Ausdauer gefragt, um dem Antrag auf Einstellung zum Erfolg zu verhelfen. „Arbeit zu haben“, sagt Flüchtlingspate Claus Kynast, „das ist immens wichtig für das Selbstwertgefühl, für einen strukturierten Alltag. Der wäre sonst von Langeweile und Grübelei bestimmt.“ Seiner Meinung nach braucht es viel mehr Unterstützung und Hilfe, damit die vor Krieg und Gewalt geflohenen Menschen eine reelle Chance haben, ihre Träume verwirklichen zu können. So wie Jamal Imari, der Journalist werden will – nach wie vor. Die Arbeit als Zusteller gibt den jungen Flüchtlingen die Chance, ihr Leben zu ordnen. J.C.C. Bruns ist Mitbegründer der Initiative „Flüchtlingspartner Minden“, die Projekte zur Integration fördert. Foto: Alex Lehn Nachts mit dem Rad durch Minden


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