Darf man dieses Foto eines ertrunkenen Flüchtlingskindes drucken?

Diese Entscheidung hat sich die Redaktion nicht leicht gemacht. Foto: MT

Diese Entscheidung hat sich die Redaktion nicht leicht gemacht. Foto: MT

Ein toter kleiner Junge liegt an einem türkischen Strand, ertrunken beim Versuch seiner Familie, in die Europäische Union zu flüchten. Ein herzzerreißendes Bild. Darf man ein Foto davon zeigen? Auf der Titelseite einer Tageszeitung? Ist das nicht Sensations-Journalismus, Leichenfledderei, Bedienung voyeuristischer Instinkte – kurz: eine Missachtung der Menschenwürde des toten Kindes und seiner Angehörigen?

Die Redaktion des Mindener Tageblatts hat strenge medienethische Regeln für den Umgang mit Bildern von Toten. Sie lassen die Veröffentlichung eines solchen Fotos eigentlich nicht zu. Dennoch haben wir uns gestern nach intensiver Diskussion – mit durchaus konträren Standpunkten – dazu verstanden: dieses Foto darf man nicht nur, man muss es drucken. Auf der Titelseite, auf der wir seit Wochen vom Drama der Flüchtlinge berichten. Denn es sagt mehr als jeder noch so lange Text. Es spricht zu uns in einer Weise, in der beschreibende Sprache an ihre Grenzen gerät.

Wie in einem Brennglas bringt dieses erschütternde Bild das vielfache menschliche Versagen auf den Punkt, das letztlich zum Tod dieses Kindes geführt hat. Einem in der Flüchtlingskrise leider alltäglichen Tod. Der kommt in Texten und abstrakten Begriffen zwar vielfach vor, diese Form erlaubt es aber, das dahinter stehende Drama von uns fernzuhalten. Das Foto lässt diese Möglichkeit nicht. Es zeigt: hinter all den politischen Diskussionen, Verteilungsstreitereien, Interessengegensätzen, organisatorischen und finanziellen Herausforderungen stehen Schicksale. Menschen. Deren Würde wird tatsächlich missachtet. Täglich. Auch durch Wegsehen.

Wir haben uns die Entscheidung für den Abdruck des Fotos nicht leicht gemacht. Wir wissen um die Gegenargumente und respektieren sie. Deswegen dokumentieren wir sie auch im Tagesthema. Am Ende aber bleibt die weit überwiegende Auffassung in der Redaktion: Dieses Bild mussten wir drucken. Weil wir Journalisten sind. Das sehen Sie anders? Schreiben Sie uns!

Von Christoph Pepper, MT-Chefredakteur

Nachmittags-Konferenz gestern: die MT-Redaktion debattiert über den Abdruck des Fotos vom toten Flüchtlingsjungen. Foto: Rogge

Nachmittags-Konferenz gestern: die MT-Redaktion debattiert über den Abdruck des Fotos vom toten Flüchtlingsjungen. Foto: Rogge

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