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“Wenn ich groß bin, will ich Bundeskanzler werden”: Die Direktkandidaten im MT-Stadtgespräch

Fünf Kandidaten und eine Kandidatin für den Bundestag: Oliver Vogt, Achim Post, Frank Schäffler, Jürgen Sprick, Jana Sasse und Sebastian Neumann. Foto: reinhard Günnewig

In den Bundestag wollen sie alle. Für die meisten von ihnen wird es vermutlich nicht klappen. Dennoch machten neben Achim Post und Frank Schäffler, zwei erfahrenen Parlamentariern, auch die anderen vier Teilnehmer der sonntäglichen Diskussionsrunde beim MT-Stadtgespräch an der Eickhorster Mühle deutlich, was sich ändern würde, wenn Wähler und Wählerinnen ihnen in drei Wochen das Mandat erteilen.

An Selbstvertrauen mangelte es selbst der erst 22-jährigen Jana Sasse nicht. Die junge Auszubildende aus Porta Westfalica bekannte, schon in Kindertagen dem Vater ihren späteren Berufswunsch genannt zu haben: „Wenn ich groß bin, will ich Bundeskanzler werden“ und erntete damit Beifall und Heiterkeit. Bis dahin dürfte es ein ganz, ganz weiter Weg sein. Ihre wohl aussichtslose Kandidatur für die Wahl am 24. September verbucht die Bündnisgrüne schon jetzt als „Super-Erfahrung“.

Ganz andere Ambitionen hat naturgemäß Achim Post, Mitglied im engeren Wahlkampfteam von Martin Schulz und MdB seit 2013. Er lehnte nicht nur ein von Sebastian Neumann (Die Linke) gefordertes bedingungsloses Mindesteinkommen ab („Deutschland ist eine Arbeitsgesellschaft“) und eine gemeinsame Rentenkasse für alle Arbeitnehmer („Aber Bundestagsabgeordnete sollten darin einzahlen“), bewertete die Arbeit der Großen Koalition aber durchaus in mancher Hinsicht kritisch. „Sehr schlecht“ sei die Bilanz von CDU/SPD bei der Digitalisierung, da habe man „nicht viel hinbekommen“, so der Sozialdemokrat.

Damit fand Post Zustimmung bei Dr. Oliver Vogt, der als Nachfolger von Steffen Kampeter den Wahlkreis für die CDU verteidigen möchte und den Direkteinzug in den Berliner Reichstag anstrebt. In Sachen Breitbandausbau müsse mehr „Dampf auf den Kessel“, urteilte der Espelkamper und nannte es einen „Skandal“, dass die Telekom weiter die Verlegung von Kupferkabel favorisiere.

Einig waren sich CDU- und SPD-Vertreter schließlich in der Flüchtlingspolitik sogar partiell mit dem als „Euro-Rebellen“ bekannten Frank Schäffler, der nach der verlorenen Wahl 2013 von „vier Jahren Erziehungsurlaub“ für die FDP sprach. Zwar geißelte Schäffer die Öffnung der Grenzen im September 2015 als „historischen Fehler“ von Angela Merkel und einen „Verstoß gegen den Geist europäisches Rechts“. Sein Plädoyer für ein Einwanderungsrecht unterstützte neben Oliver Vogt auch Achim Post, der nach eigenen Worten den Entwurf für ein Einwanderungsgesetz „in der Schublade“ hat.

In krassem Gegensatz dazu beharrte AfD-Mann Jürgen Sprick darauf, Deutschland sei zwar seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland („Mit Italienern hat es geklappt“), Probleme aber gebe es mit Menschen aus „Kulturen, die uns fremd sind“ und „die wir nicht integrieren können, weil sie nicht wollen“. Sasse („Flüchtlinge brauchen Zugang zum Arbeitsmarkt“) und Neumann wiederum sahen positive Effekte. Die Zuwanderung, so der Linke, sei eine Chance, die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen.

Auch in der Rentenpolitik zeigten sich erwartungsgemäß die programmatischen Unterschiede im Kandidaten-Sextett. Dass selbst Menschen aus der „Mitte der Gesellschaft“ finanziell nicht ausreichend für das Alter vorsorgen könnten, sei Folge der hohen Abgabenlasten und der Niedrigzinspolitik der EZB befand Frank Schäffler. Achim Post verwies in diesem Zusammenhang auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und empfahl stattdessen Stützungsmaßnahmen für das derzeitige und künftige Rentenniveau. Dem hielt Oliver Vogt den Appell entgegen, die Menschen müssten selbst mehr für ihre künftige Rente tun und verwies im Übrigen auf die drei Säulen staatliche Rente, Betriebsrente, eigene Anstrengungen.

Weitgehende Einigkeit zeigte die Diskussionsrunde, die von dem MT-Moderatoren-Duo Monika Jäger und Henning Wandel geleitet wurde, dann bei der Bewertung des im Bundesverkehrswegeplans skizzierten Tunnels durch den Jakobsberg. Dieser sei, so ihr Fazit, gegen den Willen der Bevölkerung nicht durchsetzbar. Und deren Ablehnung sei schon jetzt offenkundig.

Dank gab es abschließend für die Mühlengruppe Eickhorst, die für die Bewirtung der Gäste sorgte. Und schon zu Beginn der Veranstaltung hatten Post und Vogt ihre persönliche Übereinstimmung bei einem weiteren Thema gefunden. Achim Post: „Wo bis Du nachher?“ Vogt: „Beim Handball“. Post: „Ich auch“.

Info: Die Kandidaten

Die Kandidaten

  • Dr. Oliver Vogt (CDU, 40) ist promovierter Naturwissenschaftler, unterrichtet am Mindener Bessel-Gymnasium und ist Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Diepholz. Er kandidiert als Nachfolger von Steffen Kampeter erstmals für den Bundestag (Platz 42 der CDU-Landesliste in Nordrhein-Westfalen).
  • Achim Post (SPD, 58) ist Dipl.-Soziologe und seit 2013 Mitglied des Bundestages. Der gebürtige Rahdener ist Vorsitzender der NRW-Landesgruppe seiner Partei und Mitglied im Wahlkampfteam von Kanzlerkandidat Martin Schulz.
  • Frank Schäffler (FDP, 48) gehörte bereits von 2005 bis 2013 dem Bundestag an und geht diesmal auf Platz zehn der FDP-Landesliste ins Rennen.
  • Jana Sasse (B ‚90/Die Grünen, 22) absolviert derzeit eine Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement und ist Vorsitzende des Stadtverbandes ihrer Partei in Porta Westfalica.
  • Jürgen Sprick (AfD, 48) kandidierte bereits für die Partei Bibelteuer Christen mehrfach bei Landes- und Bundestagswahl. Er lebt in Petershagen.
  • Sebastian Neumann (Die Linke 26) ist gelernte Altenpflegefachkraft und bereitet sich derzeit auf ein Studium vor. Er ist Kreissprecher der Linken.