Durchgeblättert: Fehlentscheidungen

Eine Redaktion trifft täglich hunderte Entscheidungen. Was als attraktiven ersten Satz auswählen? Welche Überschrift lädt ein, ohne zu reißerisch zu sein? Welches Foto ist das beste? Oft finden wir darauf gute Antworten – manchmal aber auch nicht, wie wir anschließend feststellen. Beim Thema Foto habe ich am Freitagabend eine falsche Entscheidung getroffen. Wir wollten die Aufarbeitung des tödlichen Unfalls auf der Werftstraße im Zusammenhang mit einem mutmaßlich nicht ausreichend gesicherten Kabelschacht ankündigen. Auf dem Foto waren – klein zwar – Flecken auf dem Asphalt zu sehen. Kurz sprachen wir darüber, aber ich glaubte, es müsse Öl sein. Tatsächlich stellte sich heraus: Es war Blut des Verunglückten. Das hätten wir aus Rücksicht auf Angehörige und weil es nicht unserem Selbstverständnis entspricht, nicht zeigen wollen. Wir hätten das Foto beschneiden sollen. Eine Fehlentscheidung. Online lässt sich das ändern (was wir auch taten) – aber gedruckt ist gedruckt.

Einen Tag zuvor ist am Freitag ein Symbolfoto erschienen, das im Nachhinein betrachtet ebenfalls problematisch gewesen ist. Da stand ein Mann in einer Gefängniszelle. Es war Teil einer Reportage über jemanden, der nach langem Kampf aus den Wirren des Alkoholmissbrauchs gefunden hatte. Der Protagonist des Artikels ist weiß, der Mann auf dem Foto hat schwarze Haut (was erst auf den zweiten Blick zu sehen war, weil es auch Schatten hätte sein können). Eher selten schwarze Menschen zu zeigen, aber dann ausgerechnet im negativen Kontext – auch das war unglücklich. Fehlentscheidungen tun weh, aber sie helfen bestenfalls, es beim nächsten Mal besser zu machen. Und sie gehören nicht unter den Teppich, sondern auf den Tisch.

Durchgeblättert: Das Papierlager ist voll – noch

Prognosen sind bekanntlich besonders heikel, wenn sie die Zukunft betreffen. Dieser Spruch hat kaum je so gut gepasst wie zum bevorstehenden Herbst und Winter. Wir alle wissen, dass es kalt wird – vielleicht mehr, vielleicht weniger. Wir wissen, dass Gas knapp wird – aber nicht, wie sehr. Vorbereiten wollen sich trotzdem alle. Lieber hinterher umsonst geplant haben als im Unterhemd zu frieren.

Auch der Verlag Bruns hat vorgesorgt. „Was hat eine Zeitung schon mit Gas zu tun?“, mögen Sie fragen. Nichts, solange Sie das digitale ePaper oder MT.de nutzen, aber einiges, wenn Sie die gedruckte Zeitung lesen. Denn die Papierindustrie braucht etwa für Trocknungsprozesse Gas. Nur 15 Prozent könnte die Papierindustrie kurzfristig ersetzen, heißt es von deren Branchenverband.

Es droht also potenziell der nächste Papiermangel. An den jüngsten erinnern wir uns noch schmerzhaft, als während der Coronazeit alles Mögliche aus dem Takt geriet und zu wenig Altpapier da war, aus dem Zeitungspapier zu mehr als der Hälfte besteht. Doch, wie geschrieben: Unsere Druckerei hat sich vorbereitet, so gut es geht. 100 Tonnen Papier stehen als zusätzliche Kapazität im Lager. Genug für immerhin eineinhalb Monate ohne Nachschub. Mehr gibt der Markt gerade nicht her. Und fragen Sie lieber nicht nach dem Preis, denn der ist so hoch wie noch nie in der Geschichte des Papiers – dreifach so höher als vor eineinhalb Jahren. Hoffen wir das Beste, dass wir gut durch den Winter kommen – und die Preise wieder fallen!

In eigener Sache: Zeitung früher gedruckt, verlässlicher da

Haben monatelang an dem neuen Konzept gearbeitet: Logistik-Geschäftsführer Oliver Geissler und MT-Verleger Sven Thomas. Foto: Benjamin Piel

Das Mindener Tageblatt wird künftig etwas früher gedruckt als bisher. Damit will der Verlag deutliche Impulse für eine verbesserte Zustellung setzen. Die gedruckte Zeitung bleibt so aktuell wie irgend möglich, für das digitale ePaper ändert sich nichts. Letzteres ist seit einem Monat für alle Abonnenten mit täglichem Bezug der gedruckten Zeitung nach Registrierung kostenfrei. Ebenso das besonders aktuelle Online-Angebot auf MT.de.

Warum sie den Schritt gehen, erklären MT-Verleger Sven Thomas und Oliver Geissler, Geschäftsführer der Bruns Medienlogistik GmbH, im Interview.

Seit Jahren wird das MT nach 0 Uhr gedruckt, ab dieser Woche rund zwei Stunden früher. Warum?

Sven Thomas: Wir lagen mit dem Druck immer ausgesprochen weit hinten. Das hatte einerseits den Vorteil, dass wir auch späte Ereignisse noch in der gedruckten Zeitungsausgabe für den nächsten Tag mitnehmen konnten. Innerhalb der zurückliegenden Jahre merkten wir allerdings zunehmend, dass die späte Verteilung in dem engen Zeitfenster in einigen Bereichen schwieriger bis unmöglich wurde. Kunden sagen zu uns: Das Wichtigste für mich ist, dass die Zeitung pünktlich da ist. Wenn sie erst um 9 Uhr ankommt, nützt mir das nichts. Dieses Problem müssen und wollen wir lösen. Denn unser Anspruch ist, frühmorgens mit der gedruckten Zeitung Bestandteil des Frühstücks zu sein.

Wie sind denn eigentlich die Abläufe nachts in der Druckerei?

Oliver Geissler: Der Druck läuft bisher nach 0 Uhr an. Es dauert etwa eineinhalb Stunden, bis alle Exemplare fertig sind. An manchen Tagen werden noch Beilagen in die Zeitung eingelegt, dann werden immer 20 Zeitungen zu einem Paket gebündelt. Die laden Fahrer ein und bringen sie zu fest definierten Punkten in unserem Verbreitungsgebiet. Dort wiederum holen die Zusteller die Bündel für ihre Touren ab und bringen sie bis in den Briefkasten. Dieser Prozess startet bisher frühestens gegen 2 Uhr.

Das klingt kompliziert.

Oliver Geissler: Das stimmt. Es muss ein Rad exakt ins andere greifen und das in einem engen Zeitfenster. Da darf nichts schiefgehen, wenn die gedruckte Zeitung pünktlich im Briefkasten sein soll. Passt irgendetwas nicht, entsteht eine Kettenreaktion und das ganze Gefüge gerät ins Wanken. Gibt es beispielsweise technische Probleme in der Druckerei, was bei einem so komplexen Gerät wie einer Druckmaschine immer mal wieder vorkommen kann, verzögert sich der ganze Ablauf und schnell kann es nach hinten raus Probleme geben. Das ändert aber nichts daran, dass wir das Ziel haben, pünktlich auf dem Frühstückstisch zu liegen. Unabhängig davon, welcher Aufwand dafür nötig ist.

Ein Ziel, das offenbar immer schwerer zu erreichen ist.

Oliver Geissler: Das ist sehr unterschiedlich. In den meisten Zustellbezirken haben wir seit Jahren verlässliche Zusteller, die dafür sorgen, dass alles reibungslos funktioniert. Manchmal sind das nur kleine Bezirke. Das macht eine verlässliche Zustellung einfacher. Wenn der Zusteller seine Pakete abholt und nur einige Straßenzüge trägt, läuft das oft sehr gut und die Kunden sind hochzufrieden. So ein Zustand ist uns natürlich am liebsten. Es gibt aber auch den Pol auf der anderen Seite. Das sind Bezirke, für die finden wir trotz intensiver Bemühungen seit Monaten keinen Zusteller. Dann übernehmen sogenannte Springer. Wie der Name schon sagt, springen die ein, wo es keinen festen Zusteller gibt oder dieser gerade im Urlaub oder erkrankt ist. Da das Kontingent an Springern aber begrenzt ist, dauert es, bis sie alle Bezirke geschafft haben. Und je mehr Zusteller ausfallen, desto langwieriger wird der Prozess.

Der war allerdings schon immer komplex. Was ist über die Jahre schwieriger geworden?

Oliver Geissler: Jahrelang hat sich der Fachkräftemangel angekündigt. Wir haben über ihn gesprochen, wir haben auch versucht, auf ihn zu reagieren und uns vorzubereiten. Nun ist er da und zwar deutlich. Das geht ja nicht nur uns so. Schauen Sie sich die Schlangen an den Flughäfen an und in Richtung Gastronomie, wo Restaurants nicht mehr die Angestellten bekommen, die sie eigentlich dringend brauchten, um ihren Service sicherzustellen. So geht es uns auch. Über die Jahre ist es immer schwieriger geworden, Zustellpersonal zu finden. Zugegeben: Der Job ist nicht leicht, denn es gilt, bei Wind und Wetter nachts zu arbeiten. Auf der anderen Seite schätzen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie autonom arbeiten können – in verlässlichen Strukturen und planbaren Zeiten.

Am einfachsten wäre es ja, die Zeitung gar nicht mehr zu drucken und stattdessen alle Ausgaben digital auf die Handys und Tablets zu schicken. Warum ist das keine Lösung?

Sven Thomas: Wenn damit alle Kunden einverstanden wären, wäre das in der Tat eine Lösung. So leicht ist es aber nicht. Es gibt Kunden, die bevorzugen das haptische Erlebnis einer gedruckten Zeitung. Diese Einstellung nimmt zwar von Jahr zu Jahr ab. Aber es gibt weiterhin Kunden, die sagen: Die Zeitung muss ich als Papier in der Hand halten, es muss am Frühstückstisch rascheln. Das ist ein Wunsch, den wir respektieren und erfüllen wollen. Von daher wäre für uns eine Art verordnete Digitalisierung kein realistischer Weg. Gleichzeitig freuen wir uns aber natürlich über jeden digitalen Kunden, denn zweifelsohne gehört dem Digitalen die Zukunft. Der Umstieg aufs ePaper oder auf MT.de spart nebenbei Papier, das ebenfalls ein knappes Gut ist, und schont auch sonst Ressourcen.

Statt einer verordneten Digitalisierung suchen Sie nach einer Lösung über den früheren Andruck. Was versprechen Sie sich davon?

Oliver Geissler: Zunächst eine zeitliche Entzerrung. Wenn wir früher mit der Produktion, der Auslieferung und dem Verteilen beginnen können, entsteht nach hinten raus weniger Hektik und wir können hoffentlich pünktlicher zustellen. Das wird klappen! Und dann haben wir noch einen anderen Plan: Wir würden gerne mehr Zusteller in Vollzeitbeschäftigung bringen. Das ist für viele auch attraktiver, weil sich davon auskömmlich leben lässt. Das ist aber unmöglich, wenn das Verteilen erst morgens beginnt. Wenn wir aber auch schon früher damit anfangen können, kann ein Vollzeit-Zusteller auf seine acht Stunden kommen und trotzdem die letzte Zeitung morgens pünktlich in den Briefkasten stecken. So erreichen wir beides: Entspannung in der zeitlichen Taktung und mehr Zusteller, die diesen Job verlässlich und am Stück machen. Das Ziel ist, zufriedene Kunden aus jenen zu machen, die sich heute noch ärgern, dass ihre Zeitung zu spät ankommt.

Der Preis ist, dass die Zeitung nicht mehr ganz so aktuell ist wie heute.

Sven Thomas: Das stimmt nur halb. Ja, die gedruckte Zeitung verliert ein wenig an Aktualität. Wobei man auf der anderen Seite sagen muss: Wir bleiben aktueller als die Tagesschau und so aktuell wie die Tagesthemen. Das gilt für überregionale Inhalte. Im Lokalen bleiben wir auch mit der gedruckten Zeitung so aktuell wie gewohnt, denn in der frühen Nacht passiert im Regelfall nichts mehr, das unbedingt am nächsten Tag in der Zeitung stehen müsste. Abgesehen von beispielsweise einem GWD-Spiel – und diese Spiele werden auch weiterhin aktuell in der gedruckten Zeitung stehen. Wir reden da also nicht von etwas Einschneidendem. Aber wenn uns Kunden sagen: Schön, dass die Zeitung so aktuell ist, aber wenn sie zu spät ankommt, dann nützt mir das nichts, müssen wir das ernst nehmen. Viel wichtiger ist: Jeder Abonnent mit täglichem Bezug der gedruckten Zeitung hat seit einem Monat die Möglichkeit, kostenlos auf alle digitalen Inhalte von MT.de und auf das ePaper zuzugreifen.

Das heißt?

Sven Thomas: Wenn, wie kürzlich, ein Unfall in einem Mindener Labor passiert oder ein ähnliches Unglück, dann steht das nicht erst am nächsten Tag in der Zeitung, sondern so schnell wie möglich auf MT.de. Dort tickert die Redaktion live, wenn eine wichtige Entscheidung beispielsweise zur Multihalle im Stadtrat fällt. Dort gibt es zeitnah nach einem Ereignis Videos und Bilderstrecken. Mir ist es als Verleger ganz wichtig, das Schlagwort „Aktualität“ nicht nur auf die gedruckte Zeitung zu beziehen, sondern unsere journalistischen Produkte als Gesamtpaket zu sehen. Und da ist nun einmal MT.de unser aktuellstes, schnellstes und kompaktestes Produkt. Es ermöglicht einen Überblick auf dem mobilen Endgerät – und von überall aus. Schon mehr als 7.500 Zeitungskunden nutzen seit der kostenfreien Öffnung des Digitalpakets die Aktualität dieser Kanäle – Tendenz steigend. Und die elektronische Zeitung bleibt so aktuell wie gewohnt. Wenn also das Spiel der deutschen Nationalmannschaft erst um 22.30 Uhr endet, wird es am nächsten Morgen im ePaper zu finden sein – für jeden, der es dort lesen möchte. Wir denken, dass es uns mit diesem Paket gelungen ist, alle Seiten und unterschiedlichen Ansprüche möglichst gut und umsichtig unter einen Hut zu bekommen. Wir freuen uns auf den Start!